Und wieder befinden wir uns in diesem Winter im Zangengriff der Coronapandemie. Eigentlich glaubten wir zu Jahresbeginn 2021, diesen Virus mit einer umfassenden Impfkampagne oder mit einer verantworteten Durchseuchung besiegen zu können. Nun stellen wir ernüchternd fest, wir haben uns geirrt. Im Hinblick auf die vielen Einschränkungen und öffentlichen Hygiene- und Abstandserwartungen offenbaren die neuerlichen Coronawellen wie unter einem Brennglas unsere Schwächen, Ängste, aber vor allem unsere unterschiedliche Wahrnehmung und Erklärungsversuche. Familien, Nachbarn, Kollegen und Freunde können darüber unerwartet in Streit geraten, stehen sich plötzlich fremd gegenüber und sprechen nicht mehr dieselbe Sprache. Mitunter stellt sich die Frage, ob Regierungen, Parlamente, Kreistage oder Gemeindevertretungen das Recht dazu haben, durch öffentliche Regelungen zum Schutz der Schwächsten in die Grundrechte oder alltäglichen Routinen ihrer Bürger einzugreifen, um diese zeitweise sogar einzuschränken. Während einige von uns diese Frage bejahen, mindestens solange diese Eingriffe auf der freiheitlich-demokratischen Grundordnung basieren, empfinden andere solche einengenden Regelungen als tiefes Unrecht und ihre Reiz- und Protestschwelle ist deutlich abgesenkt. Alles was „von Oben“ kommt wird von diesen nunmehr kritisch hinterfragt und z.T. ohne Nachfrage abgelehnt. Einige entpflichten sich von der gesellschaftlich notwendigen Solidarität mit den Schwachen und pochen auf ein vermeintliches Recht der freien Entfaltung.
Mir ist in den letzten Monaten aufgefallen, dass der Staat (und dazu zählen letztlich auch unsere Gemeinden) zunehmend wie Dienstleistungsunternehmen betrachtet werden auf deren Leistungen ein Jedermann Rechtsanspruch hat. Richard David Precht schreibt in seinem 2021 bei Goldmann-München erschienen Buch „Von der Pflicht“, dass sich viele Bürger zunehmend als Kunde oder Konsument sehen, „ … der stets eines will: für sich das Beste. Tut der Staat nicht das, was ich von ihm erwarte, kündige ich meinen inneren Vertrag mit ihm und entpflichte mich vom Gemeinwohl.“ (Seite 57)
Ein Bürgermeister wird mitunter wie ein Geschäftsführer eines Dienstleistungsunternehmen betrachtet, denn schließlich zahlt man ja Steuern und meint somit einen Anspruch auf jegliche Leistung beim ihm einklagen zu können. Gegenüber einer öffentlichen Verwaltung mag dieses z. T. richtig sein, aber ein ehrenamtlicher Dorfbürgermeister ist allenfalls ein Mittler zwischen Bürger und (Amts-)Verwaltung. Er nimmt diejenigen Aufgaben wahr, die eine Amtsverwaltung nicht leisten kann: für ein Gemeinwohl zu sorgen, das insbesondere in solchen Krisenzeiten von gegenseitiger Verantwortung, Hilfe und ehrenamtlichen Engagement geprägt sein sollte. Gerade in dieser Coronakrise kann er derjenige sein, der wie ein Seismograf frühzeitig anzeigt, was nötig ist und wo im weitesten Sinn Hilfebedarf in der Gemeinde besteht. Als ehrenamtlicher Bürgermeister kann er frühzeitiger als jede Verwaltung es kann, auf Fehlentwicklungen oder Bedarfe hinweisen. Er hat (Gott sei Dank) keine ordnungsrechtlichen Befugnisse und ist auch nicht für die Umsetzungen von Beschlüssen zuständig, sondern zuerst den Einwohnerinnen und Einwohner seiner Gemeinde verpflichtet.
Umso mehr es nun geling, in einer Dorf- oder Stadtgemeinschaft positive Werte in einer solchen Krisensituation zu leben, umso besser kann es um die eigene positive Werteausstattung seiner Einwohner/Innen bestellt sein. „Je mehr Frustrierte sich Frustrierten gesellen“, schreibt Precht in seinem o.a. Buch, „umso größer werden Aggression wie Neid, Wut und Hass.“ Im Gespräch miteinander zu bleiben, egal welchen Status man hat, ist zu mindestens ein guter Anfang.
Was werden wir nun aus dieser Coronazeit lernen? Welche Erfahrungen werden für die kommenden Jahre für uns prägend sein? Wie wir sich unser Gemeinwohl nach dieser Krise verändert haben. Diese Fragen bewegen mich und sicher auch viele andere, die in unseren Dörfern in die Verantwortung berufen worden sind.